Farbtafeln
1958 - 1962
Farben zeigen! Die Wirkungsweise der Farben läßt sich nur vage beschreiben. Ich benutze gern den Begriff „Fluktuation", um das eigentümliche Auftreten der Farben zu kennzeichnen. Dieser Begriff steht dem von Kandinsky gebrauchten der „Vibration" nahe – der heute in den Traktaten zur monochromen Malerei eine große Rolle spielt. „Fluktuation" fängt jene geheimnisvolle Bewegtheit ein, als die Farben erlebt werden: eine ständige Bewegung, ein dauerndes Wechselspiel, so wie es sich in dem Bild des Meeres darstellt. Dieser Vergleich läßt sich fortführen, um eine Einsicht zu umschreiben: in einer Zeitung fand ich eine Fotografie, die eine Uferpromenade zeigte, überschäumt von hohen Brechern; im begleitenden Text war eine Betrachtung darüber angestellt, daß die Kraft des Meeres erst deutlich werde, wenn sich ihm etwas Festes entgegenstelle. Auch die Farben messen ihre Kraft an einem Widerstand: am Widerstand der Formate, in denen sie sich ausbreiten. Die Meinung, Farben zeigten ihre Wirkung nur als Einwirkung auf andere im Bild, sie träten nur in solchem Widerstreit als sie selbst auf, ist durch die monochrome Malerei überholt worden. Dagegen ist die Beziehung zwischen Form und Farbe in den Blick gerückt. Farben brauchen, um sich zu entfalten, bestimmten Raum. Auch das läßt sich am oben aufgeführten Meeresbeispiel verdeutlichen: Im Teich entfaltet sich nicht der Wellenschlag des freien Meeres. Und wie eine vorgeschobene Mole den Wellen unerwartete Kraftentfaltung abzwingt, kann der Maler durch Hindernisse die Farbe auf der Fläche aktivieren. Durch eine Linie zum Beispiel. - Strukturiert man die Farbfläche, so aktiviert man ständig die Farbe. Man kann durch Strukturierung des Grundes eine wenig aktive Farbe über eine Fläche spannen, die sie sonst nicht angemessen füllte. - Es gibt unabsehbar viele Möglichkeiten.
(Textauszug aus: Kleine Mappe der Galerie Seide für Dietrich Helms und Helmut Scholz, Hannover 1960)