Blindzeichnungen
1975 - 1986
Blindzeichnen. Wenn ich blind zeichne, erfahre ich mich selbst im Augenblick des Zeichnens, werde ich dessen inne, was sich in meiner Vorstellung realisiert. Es kann in dem Augenblick, in dem die Zeichnung fertig ist, die Vorstellung, die zu ihr geführt hat oder die von ihr aufgerufen ist, schon wieder vergessen sein. Blindzeichnen fängt etwas ein von dem unablässigen Erinnern/Vergessen, von der Ungeschiedenheit der Bilder in unserm Kopf. Das kommt darin zum Vorschein, dass in den blind gezeichneten Blättern einzelne Bildteile offensichtlich nicht ausgesondert sind aus einem Zusammenhang, in dem sie auch zu anderem hätten werden können. Sie sind organische Teile, die weiterwachsen könnten, die die Möglichkeit ihrer Veränderung anzeigen. Sie könnten sich verselbständigen, weiterentwickeln; sie sind nicht eingeschränkt, fixiert. Sie sind elastisch dem Ganzen eingehängt. Die Blindzeichnung macht den Eindruck eines Feldes, in dem Elemente schwebend miteinander figurieren, nicht den eines aus starren Teilen zusammengesetzten Bildgefüges. Es fallt schwer, eine einzelne Blindzeichnung abzusondern von den Blindzeichnungen, die um sie herum, vor oder nach ihr, entstanden sind. Blindzeichnungen entstehen oft in unmittelbarer Abfolge, was damit zu tun haben mag, dass der Zeichnende erst allmählich einen zureichend konzentrierten Zustand erreicht, ihn verliert und wiedergewinnt. Es hat sicher aber vor allem einen Grund darin, dass die Blindzeichnung aus einem Fluss der Vorstellungen schöpft, der nicht abreißt, nachdem man einmal etwas aus ihm entnommen hat. In der Folge von Blindzeichnungen wird noch deutlicher als in einer einzelnen herausgelösten Zeichnung etwas vermittelt von dem unaufhörlichen Bewegungszug der Vorstellungen, dem vielfaltigen Geschiebe der Bilder in unserm Kopf.
(Auszug aus einem Handzettel zu einer Ausstellung im Künstlerhaus Hamburg, 1979)